Sendung 476 vom 06.06.2019
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Die Weichen für einen weiteren Krieg am Persischen Golf sind gestellt. Mitte Mai zog die Trump-Administration nicht zwingend nötiges Personal in US-Botschaften und -konsulaten im Irak zurück und verschob B-52-Bomber und Patriot-Raketen auf US-Basen in die Region, um sich auf einen angeblich drohenden iranischen Konflikt vorzubereiten. US-Beamte schlugen als militärische Optionen gegen den Iran vor, 120’000 Soldaten einzusetzen und mit Cyberangriffen das Stromnetz des Landes lahmzulegen. Gleichzeitig traten Hardliner gegen den Iran in den Medien auf.
Es ist in den USA schwierig, über den Iran zu berichten. Wenn Journalisten im Iran ins Gefängnis gesteckt werden, wird darüber berichtet. Doch wenn das Land von Katastrophen heimgesucht wird oder wenn der humanitäre Preis für die Sanktionen steigt, die gegen Iran verhängt wurden, dann gibt es so gut wie keine westlichen Medienvertreter, die sich im Iran befinden und die Einzelschicksale hinter den tragischen Schlagzeilen beleuchten würden. Als kürzlich Überschwemmungen dutzende Menschenleben forderten oder als Passagierflugzeuge abstürzten, weil keine Ersatzteile mehr erhältlich sind, dann wird darüber kaum berichtet.
Der letzte Anti-Iran-Nachrichtenzyklus wirkte folgendermaßen: Mitte Mai begannen – oft anonyme – Quellen aus dem nationalen Sicherheitsapparat, einschließlich Bolton, Reportern in Washington zu erzählen, es gebe eine konkrete, aber nicht näher bezeichnete iranische Bedrohung für die US-Interessen in Nahost. Bereits auf dieser Grundlage klang die Story zwielichtig. Speichellecker auf Fox News und in anderen „Trump Medien“ brachten sie ohne jegliche Überprüfung oder Zurückhaltung.
Washington-Korrespondenten aus angesehenen Medien, die an die fehlerbehaftete Legitimation des Irak-Kriegs erinnerten, waren etwas weniger vertrauensselig. Trotzdem machten sie Irans „Bedrohung“ zu einer Top-Story – schließlich geht es um die nationale Sicherheit! Sie relativierten sie aber zunächst mittels Bezugnahme auf Quellen, zum Beispiel in dieser Schlagzeile der New York Times: „Mit der Begründung einer iranischen Bedrohung schicken die USA Flugzeugträger und Kampfflugzeuge in den Persischen Golf.“ Aber nach wenigen Tagen im Nachrichtenzyklus wurde kein Bezug auf Quellen mehr genommen. CNN titelte: „Patriot-Raketen in den Mittleren Osten verlegt, inmitten iranischer Drohungen.“
Waren die iranischen Drohungen real und ernsthaft? Vielleicht. Es gibt immer Gefahren. Aber die USA haben eine lange Geschichte von Eintritten in Kriege wegen übertrieben dargestellten oder erfundenen Bedrohungen – dies geht zurück bis zum Spanisch-Amerikanischen Krieg, weiter über den Golf von Tonkin, bis hin zu Saddams inexistenten Massenvernichtungswaffen.
Im vorliegenden Fall stammten die Warnungen vor einer iranischen Bedrohung von israelischen Geheimdiensten und wurden von der Regierung Benjamin Netanyahus herumgereicht. Die US-Hardliner, die sie aufgriffen, wollen einen erhöhten Druck auf den Iran rechtfertigen. Und das obwohl bei Informationen aus „israelischen Geheimdienstkreisen“ äußerste Skepsis geboten ist!
Aus der Lektüre der US-Nachrichten erhält man unweigerlich den Eindruck, dass der Iran eine Bedrohung ist. Selbst Einordnungen betreffend den Iran, die beispielsweise festhalten, dass die Iranische Revolution von 1979 teilweise eine Reaktion auf den US-Coup von 1953 war – verlieren sich in ständigen Schlagwörtern wie „Terror“, „Mullah“, „nuklear“, „Stellvertreter“ und „Milizen“.
Selbst wenn es die Trump Regierung war, welche den Atomvertrag einseitig kündigte, den der Iran mit der Obama Regierung verhandelt und vereinbart hatte – einem Vertrag, der das iranische Nuklearanreicherungsprogramm stoppte – sprechen die meisten Schlagzeilen und Artikel davon, dass der Iran damit „drohe“, die Anreicherung wieder aufzunehmen.
In Wirklichkeit ist die Reaktion des Irans auf die USA eher eine natürliche Antwort als eine Eskalation. Irans Regierung wurde im Regen stehen gelassen; obwohl sie das Nuklearprogramm einstellte, wurden dem Iran kaum Lockerungen der Sanktionen gewährt. Und übrigens, als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags (den es nie verletzt hatte) ist es dem Iran rechtlich erlaubt, sein Programm neu zu starten. Selbst als Ayatollah Khamenei, der Oberste Führer des Iran, Mitte Mai das Wort ergriff, um Spannungen abzubauen, folgte sogleich das National Public Radio mit der goldigen Nachricht, wonach eine Wiederaufnahme nuklearer Aktivitäten „drohe“. Die Nachricht wurde von folgender Schlagzeile begleitet: „Aggressive Rhetorik zwischen den USA und dem Iran schießt durch die Decke“.
Es darf nicht vergessen werden, dass die USA eine lange Geschichte mit Drohungen und Aggressionen gegen den Iran haben:
– In den 1980er Jahren hatten sie den Irak ermutigt, in den Iran einzumarschieren und Hunderttausende Iraner zu töten.
– Im Jahr 2003 marschierten dann die USA in den Irak ein, richteten sich gegen den Iran und verkauften Waffen im Wert von mehreren Milliarden Dollars an anti-iranische Autokraten aus dem Mittleren Osten.
– Die USA unterstützten auch die bekannte Terroristengruppe der „Volksmudschahedin“ (MEK). Die USA hofften, damit einen Regime Change anzufachen.
Erst nachdem britische Geheimdienstkreise und andere mit Sicherheitsaufgaben betraute „seriöse“ ausländische Quellen Zweifel äußerten, konnte man Schlagzeilen lesen wie „Skeptische US-Verbündete widerstehen Trumps neuen Behauptungen betreffend Drohungen des Iran“ – als ob man die Dinge nur dann beim Namen nennen könnte, wenn man hierfür jemanden zitieren kann.
Die beste Option ist natürlich, sich einfach wieder dem Atomabkommen anzuschließen. Aber für viele Außenpolitik-Korrespondenten in Washington – einschließlich derer, die Probleme mit republikanischen Falken haben –, gleicht die Erwartung, wie Frieden und Stabilität in Nahost aussehen sollten, einer Wunschliste. Sie weisen darauf hin, dass es zwar Trump war, der sich aus dem Abkommen zurückzog, dass aber das Abkommen ohnehin keine iranische Verhaltensänderung bewirkt hätte, die über den Gegenstand des Abkommens hinausgegangen wäre.
Das Problem bei dieser Denkweise ist, dass sie sowohl ahistorisch als auch unausgewogen ist. Die USA hatten nach dem Atomabkommen fast nichts getan, um internationalen Konzernen zu versichern, dass sie für Investitionen im Iran nicht bestraft würden. Die iranische Wirtschaft sah wenig wirtschaftliche Impulse aus dem Abkommen – außer der Möglichkeit, wieder Öl an andere Staaten verkaufen zu können.
Und jetzt wird vom Iran erwartet, dass er sich an den Atomvertrag hält, auch wenn die USA es nicht tun. Und es wird vom Iran erwartet, dass er seine Verbündeten im Nahen Osten nicht mehr unterstützt, obwohl keine Rede davon war, dass der Atomvertrag bedeute, dass die USA aufhören, ihrerseits Waffen an ihre Verbündeten Saudi-Arabien und Israel zu liefern.
Warum dieser Gedächtnisverlust und warum die Gehilfenschaft der Medien?
Vielleicht, weil es schwierig ist, den Amerikanern zu sagen, dass ein Land voller wütender Männer mit schwarzen Turbanen und Bärten, die amerikanische Diplomaten gefangen genommen hatten und Bomben entwickelten, die amerikanische Soldaten töten, echte, legitime Gründe hat, wütend zu sein und Angst vor den USA zu haben. Und vielleicht, weil es selbst für die Nahost-Kenner unter den amerikanischen Reportern schwierig ist, zu verhindern, dass diese unbewusste Verzerrung in die Arbeit einfließt, insbesondere bei Schlagzeilen und der Auswahl von Fotos. Aufgewachsen im amerikanischen Exzeptionalismus, ist es eine schwer zu schluckende Pille, dass die US-Amerikanischen Missetaten im Nahen Osten vielleicht keine Ausnahmen sind, sondern die Ausweitung amerikanischer Herrschaft.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.