Sendung 590 vom 11.08.2022
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Wieder fallen Bomben und Granaten auf Gaza. Bei dem am Freitag begonnenen militärischen Schlagabtausch zwischen der israelischen Armee und dem „Islamischen Dschihad in Palästina“ (PIJ) sind laut der amtlichen palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA bis Sonntag mittag 31 Menschen gestorben, darunter sechs Kinder. Am Nachmittag meldeten mehrere Nachrichtenagenturen die bevorstehende Verkündung einer Waffenruhe, die noch am selben Abend in Kraft treten sollte und auf Vermittlung Ägyptens ausgehandelt worden sei.
In Rafah wurde am Samstag abend Chalid Mansur, der militärische Führer des „Islamischen Dschihad“ in Südgaza, durch einen gezielten Luftschlag getötet. Bei dem Angriff kamen auch Mansurs Stellvertreter Sijad Madalal und wahrscheinlich ein weiterer Kommandant ums Leben, ebenso wie drei Frauen und ein Kind, meldete das Gesundheitsministerium in Gaza.
Im palästinensischen Flüchtlingslager Dschabalija starben am Samstag abend vier Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren. Während offizielle palästinensische Quellen Israel für die Toten verantwortlich machten, sprach die israelische Armee von einer Rakete des PIJ, die unbeabsichtigt in Dschabalija eingeschlagen sei. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza waren Stand Sonntag mittag unter den insgesamt 275 Verletzten rund 100 Kinder.
Der israelische Rettungsdienst Magen David Adom meldete bis Samstag abend hingegen zwei Israelis, die durch Granatsplitter leicht verletzt wurden. Die allermeisten der Raketen, die laut dem TV-Sender Al-Dschasira auf Israel abfeuert wurden, wurden von der israelischen Raketenabwehr abgefangen.
Seit Beginn der Operation „Morgendämmerung“ am Freitag habe die Armee rund 140 Ziele der militärischen Infrastruktur des „Dschihad“ im Gazastreifen angegriffen, sagte Militärsprecher Ran Kochav laut der Onlinezeitung Times of Israel am Sonntag. Kurz zuvor hatte Israel den Treibstofftransport nach Gaza gestoppt und damit das einzige Kraftwerk fast völlig lahmgelegt. Am Sonntag warnte das palästinensische Gesundheitsministerium davor, daß es wegen des Treibstoffmangels binnen 48 Stunden zur Einstellung der medizinischen Versorgung kommen könnte.
Russland, die Türkei, Malaysia, Südafrika und Saudi-Arabien verurteilten Israel. „Angriffe, bei denen unschuldige Zivilisten getötet werden, sind durch nichts zu rechtfertigen, und sie sind um so abscheulicher, als sie von einer Besatzungsmacht begangen werden, die den Gazastreifen seit über einem Jahrzehnt völkerrechtswidrig belagert“, nahm das südafrikanische Außenministerium am Sonnabend Stellung.
In allen großen Städten Israels versammelten sich am Samstag abend Friedensaktivisten. „Wir fordern heute die israelische Regierung auf, den bewaffneten, mit dem Blut Unschuldiger getränkten Wahlkampf unverzüglich einzustellen“, hieß in einer Pressemitteilung der jüdisch-arabischen Bürgerbewegung Ezracheiha. Die geschäftsführende Regierung wolle durch die Eskalation ihre Chancen bei der Wahl im November verbessern. Auch die Friedensbewegung Gusch Schalom beteiligte sich an dem Protest.
Der PIJ hatte am Freitag nach einem gezielten tödlichen Luftangriff auf seinen militärischen Führer im nördlichen Gazastreifen, Taisir Al-Dschabari, umgehend Vergeltung angekündigt. Bei dem Angriff auf Dschabari kamen mindestens neun Personen ums Leben, darunter ein fünf Jahre altes Mädchen.
Im Mai 2021 wurden nach elf Tagen Raketenbeschuß aus Gaza Richtung Israel und israelischer Bombardierung der mehr als zwei Millionen Einwohner des größten Freiluftgefängnisses der Welt mehr als 260 Tote gezählt – 13 auf israelischer Seite. Der UN-Menschenrechtsrat setzte am 27. Mai 2021 eine unabhängige, unbefristete Untersuchungskommission ein, die unter Vorsitz der südafrikanischen Richterin Navanethem „Navi“ Pillay die tieferen Ursachen des Konflikts und konkrete Verbrechen untersuchen soll. Der Kommission wurde die Einreise nach Israel verwehrt, Ägypten weigerte sich, Zugang nach Gaza zu verschaffen. Sie ging ihrer Aufgabe dennoch akribisch nach.
Am 14. Juni hielt Pillay auf einer Pressekonferenz in Genf zum ersten Kommissionsbericht fest: Hauptursache waren und sind die andauernde Besatzung Palästinas, das mangelnde Interesse Verbündeter Israels für Rechte von Palästinensern sowie doppelte Standards. Gemeint ist: Eine Untersuchungskommission für Verbrechen im Ukraine-Krieg kam im Handumdrehen und ohne Hindernisse zustande. Aber 22 UN-Mitgliedstaaten verweigerten dem Pillay-Bericht die Zustimmung – maßgeblich dabei die USA und die Bundesrepublik. In Wahrung regelbasierter Außenpolitik.
Doppelte Standards bei Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen gröbsten Ausmaßes, also etwa bei Folter und extralegaler Tötung, gelten insbesondere in der NATO-Wertegemeinschaft nicht nur für Israel, sondern auch für Marokko und dessen Besatzungsregime in der Westsahara, erst recht für die Kriege des NATO-Mitglieds Türkei in Syrien und dem Irak und selbstverständlich für alle Kriege von USA und EU-Staaten. Kein Mitgliedstaat der Vereinten Nationen hat allerdings bisher seit Jahrzehnten so wie Israel die UN-Mechanismen untergraben. Morde mit Drohnen nach dem Vorbild der USA wie jüngst in Kabul sind nun ebenso eine „Regel“ wie die Inkaufnahme von toten und verletzten Zivilisten durch Luftangriffe auf Gaza. Hintergrund waren dafür 2021 wie auch jetzt anstehende Parlamentswahlen in Israel.
Flankiert wird das Besatzungsregime durch sorgfältig orchestrierte Kampagnen gegen angebliche Antisemiten in EU-Staaten und Nordamerika. Gegenwärtig wird zum Beispiel eine gegen ein Mitglied der Pillay-Kommission, den indischen Juristen Miloon Kothari, inszeniert. Er hatte im Interview mit dem Internetportal Mondoweiß am 25. Juli erklärt, er halte die Bezeichnung „Apartheid“, die der UN-Sonderberichterstatter Michael Lynk im März für die Zustände in den von Israel besetzten Gebieten gefunden hatte, für „nicht ausreichend“. Er frage, warum Israel „überhaupt Mitglied der Vereinten Nationen“ sei. Die eigenen Verpflichtungen als UN-Mitgliedstaat respektiere es jedenfalls nicht.
Genau darin besteht das Wesen der „regelbasierten Außenpolitik“ des Westens: Willkür statt Recht. Die Pillay-Kommission macht das sichtbar. Für Palästinenser ist das viel.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder!