Sendung 268 vom 29.11.2012
Willkommen zu Folge 268 von „Die Vergessenen dieser Welt!“. Sehr geehrte Damen und Herren, hoch geschätzte Zuschauerinnen und Zuschauer, wir sitzen nun alle tatsächlich in einem Boot: Dem Boot der Wehrmacht! Ein in Schieflage geratenes Boot, sowohl moralisch wie auch historisch.
Mit dem aktuellen Beschluss zum Bundeswehreinsatz im Ausland wurde Deutschland endgültig vom Krieg heimgesucht. Und davon sind wir alle betroffen. Wir sind direkt oder indirekt im Bündnis der Kriegstreiber und Kriegspartner angekommen und zugleich zum Kriegstreiber geweiht. Dies geschieht nicht in einem von Diktaturen heimgesuchten Land oder in einer sogenannten Bananenrepublik. Nein, die Rede ist von unserem Land, von unserer demokratischen Schieflage und von einem moralisch tief abgründigen Abenteuer vor unserer Haustür. Und daher bahnen sich fast Tag für Tag ganz neue Landschaften, die erobert werden sollen, ganz neue Feinde, die getadelt werden sollen, ganz neue Ausrichtungen militärtechnischer Couleur, die in Auftrag genommen, erforscht, entwickelt und exportiert werden sollen. Und all dies natürlich für unsere Verbündeten, die wir nicht kennen und gegen unsere Feinde, die wir noch weniger kennen. Die Alliierten sind wieder da, die Burschenschaften und die Nazis. Es wird Hass gepredigt und praktiziert gegen Andersfarbige und ausländische Mitbürger, und wir dürfen immer noch nicht laut werden; zumindest nicht laut genug-, weil es letztendlich um innere Sicherheit und um unsere heiligen Pflichten geht, denen wir als Verbündete zu dienen verpflichtet sind.
Es ist erst wenige Wochen her, dass diese Sendung über einen geplanten deutschen Militäreinsatz in Mali berichtete. Schon davor wurde über die Einsätze und Waffengeschäfte mit Katar und Saudi Arabien, neben Afghanistan usw. berichtet und noch davor von den Anfängen und vom Fortbestand aggressiver außenpolitischer Strategien der US-Administrationen und deren Verbündeten, u.a. Deutschland, nach dem entsetzlichen Ereignis am 11. September 2001, ein noch immer ungelöstes Rätsel. Inzwischen ist der Großteil von einst ermahnenden und ermahnten Szenarien, Folgen und Folgeerscheinungen eingetreten. Und während hie und da die Töpfe noch warm sind, wird schon der nächste aufgesetzt: Diesmal brodelt der Topf in der Türkei. Die bei der NATO um Hilfe ersuchende Türkei braucht dringend ein paar deutsche Patrioten! Und wir haben inzwischen doch jede Menge davon: Patrioten als Luftabwehrraketen, patriotische Burschenschaften, patriotische NSU-Zellen, patriotische Hardrocker, patriotische Wölfe und Geier und natürlich patriotische Soldaten, die unsere Ehre und Werte weltweit schützen müssen und ganz nebenbei auch mal Ressourcen absichern, die natürlich uns gehören und nicht den Einheimischen vor Ort. Also, wir wachsen allmählich in vielseitiger Natur; nur nicht so wie wir, mit unseren demokratischen und rechtstaatlichen Zivilisationssubstanzen, zu wachsen hätten befähigt sein sollen. Inwiefern eine aggressive Außenpolitik zum Entflammen des Aggressionsherds im Innland beitragen kann, oder noch klarer gesagt, inwieweit das Systemrelevante inländische Desaster den Aggressionsgrad gegen das Ausland, wie auch im Inland, exponentiell erzeugt und erhöht, lassen sich anhand einer Handvoll Beispielen aus unzähligen Vorhandenen verdeutlichen.
Wie es sich auch bei dem aktuellen Fall deutlich macht: Die Türkei will, im Rahmen eines NATO-Hilfeersuchens, unter anderem deutschen Patriot-Luftabwehrraketen gegen Syrien. Deutschland unterstützt sie und macht sich somit zum direkten Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg bereit. Der Deutsche Bundestag lässt sich dabei zur Lachnummer degradieren. Noch tragikomischer ist, dass der Verteidigungsminister Thomas de Maizière mitteilt, man sei „nach intensiver juristischer Prüfung“ zu dem Schluss gekommen, dass die Stationierung deutscher Soldaten und Raketen an der türkisch-syrischen Grenze der vorherigen Billigung durch das Parlament bedürfe, ungeahnt dessen, dass bereits ein Tag zuvor Herr Außenminister, Guido Westerwelle angekündigt hatte, dass er die deutschen Diplomaten bei der NATO angewiesen habe, dem türkischen „Hilfsersuchen“ zuzustimmen. Handelt es sich bei dieser Unzulänglichkeit und Misshelligkeit zweier hoch relevanter Ministerien des mächtigsten europäischen Landes nur um eine Panne? Was erlaubt aber Herrn Westerwelle derartig vorausplanend und wagemutig zu prophezeien, wie die Abstimmung im Bundestag ausfallen würde? Es ist nicht schwer zu erraten, denn angesichts der klaren Regierungsmehrheit im Bundestag steht der Ausgang jeglicher Abstimmung genau genommen fast schon immer fest. Verschwörung heißt so lange Verschwörung, bis es sich fest in den politischen Alltag verankert. Ab dem Moment ihrer gesellschaftlich-politischen Verankerung ist sie aber eigentlich als ein latenter Bestandteil der Realität und mehr oder minder als politisches Mittel an der Tagesordnung. Auch die SPD signalisierte in der vergangenen Woche ihre Bereitschaft zum Mitziehen, während die Grünen anscheinend noch nicht einstimmig und schlüssig sind. Allerdings ist nicht mehr als eine Enthaltung von ihnen zu erwarten. Nur die Fraktion der Linken wird mit Nein stimmen.
Bei dieser Gelegenheit sei einmal darauf hingewiesen, dass es sich wieder um eine Entscheidung handelt, die von der Entscheidung der Bevölkerung abweicht, da sich die Mehrheit der Bevölkerung nicht nur nicht für irgendeinen Krieg ausgesprochen hat, sondern sie geht noch über dies hin und trägt die aus dem Zweiten Weltkrieg abgeleitete Weisheit: “Nie wieder Krieg“ im Herzen. Hinzu kommt, dass es sich bei der Türkei um einen Staat handelt, der kraft seines Militärs gewaltsam gegen einen ethnischen Teil seiner Bevölkerung – nämlich die Kurden – vorgeht und diese mit Militärgewalt unterdrückt. Wieso unterstützt die deutsche Bundesregierung einen solchen Staat und sein Militär? Und auf welcher Grundlage? Denn da die Türkei nicht angegriffen wird, kommt auch der NATO-Verteidigungsfall nicht zum Tragen. Außerdem, wie sollte ein Parlament funktionsfähig sein, wenn die Entscheidungen sowieso feststehen oder durch andere Macht- bzw. Staatsmachtorgane mittelbar diktiert werden?
Denn angesichts der Tatsache, dass bereits am 4. Oktober 2012 ein Kriegsvorratsbeschluss von der Regierung Erdogan im türkischen Parlament eingebracht und mit großer Mehrheit verabschiedet wurde, der die Regierung zum „einjährigen Einsatz der türkischen Streitkräfte im Ausland“ ermächtigt. Und in Anbetracht der nur einen Tag später abgehaltenen Rede Erdogans, dass er zum Krieg rüste, ich zitiere: „Wir mögen den Krieg nicht, aber wir sind auch nicht weit davon entfernt. Es gibt eine Redewendung, die besagt, dass man sich für den Krieg vorbereiten soll, wenn man den Frieden will. So wird der Krieg zum Schlüssel für den Frieden.“, Zitatende, bleibt kein Spielraum für irgendeinen Zweifel, dass ein deutscher Kriegseinsatz im türkisch-syrischen-Grenzgebiet zugleich die direkte Beteiligung Deutschlands am syrischen Bürgerkrieg bedeutet!
Dies bedeutet aber auch, dass sich Deutschland Seite an Seite seiner Verbündeten aus dem europäischen und transatlantischen Raum, wie auch aus dem nicht demokratischen Lager der Regionalmächte neben die sogenannten Aufständischen schlagen muss und somit nicht nur gegen die syrische Regierung, sondern auch gegen die Mehrheit des syrischen Volkes und seiner progressiver Kräfte kämpfen muss. Also, mit antidemokratischen Kräften für die Demokratie kämpfen? Sehr bemerkenswert! Das ist nur ein sichtbar unsichtbarer Aspekt dieses Krieges. Hinzukommend stellt sich immer wieder von Neuem die Frage: Wer ist der Gewinner dieses Krieges? Jedenfalls nicht die Menschen in dieser Region, wenn auch all das todbringende Unheil in ihrem Namen geschieht. Wir wiederholen: Solche Vorgehensweise widerspricht jeglichem Völkerrecht und mündet in Verbrechertum.
Wie erst kürzlich in Mali, so beteiligt sich das Militär des wiedererstarkten Großdeutschland auch in der Türkei an der Eskalation eines Konfliktes, um seine militärische Macht zu demonstrieren und seinen Einflussbereich zu sichern.
In dieses Bild passt auch exakt die deutsche Politik der Waffenlieferungen in die ganze Welt. Ob Leopard 2 Panzer nach Saudi Arabien oder deutsche Sturmgewehre in Krisengebiete. Deutschland ist wieder überall dabei. Entweder legal oder auf andere Art und Weise, die dann in den Medien fadenscheinig als illegal hinkonstruiert wird.
Bombt Israel die Palästinenser in Grund und Boden und richtet humanitäre Katastrophen ungeahnten Ausmaßes an, dann ist die deutsche Politik sofort präsent um die Perversion auf die Spitze zu treiben, indem es sich parteiisch an die Seite Israels stellt und darüber hinaus – in Person von Westerwelle und Merkel – die Palästinenser auch noch selbst verantwortlich macht; für die Leiden, die sie erdulden müssen! Deutschland verpflichtet sich einerseits, angeblich aus dem Schuldgefühl heraus, dem israelischen Staat zur Seite zu stehen, mit der Behauptung, aus den Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges die nötige Lehre gezogen zu haben. Anderweitig aber vernachlässigt es den folgerichtigen Leitsatz aus dem gleichen Krieg, der sich im Herzen seiner Bürger tief eingebürgert hat, nämlich: „Nie wieder Krieg“! Soll man zu viele einseitig gewachsene Unstimmigkeiten dem Zufallsprinzip zuordnen und unbekümmert auf sich beruhen lassen?
Im Bundestag ist am Mittwoch vergangener Woche der „Verteidigungshaushalt“ genannte, deutsche Militäretat für 2013 beschlossen worden. Die bereitgestellten 33,3 Milliarden Euro finanzieren eine global agierende Interventionsarmee. Seit 1990 ist die Bundeswehr in über 35 Missionen international aktiv. Kosovo, Afghanistan, Sudan, Somalia – die Liste wird immer länger. Und nun kommen auch noch der türkisch-syrische Grenzkonflikt und Mali hinzu. Ganz abgesehen von der entfesselnden Zerstörungskraft, die als Beiwerk seiner machiavellistischen und utilitaristischen Nahostpolitik in Kauf zu nehmen bedroht.
Die Bundesregierung verpulvert Steuergelder der Bürger für eine Politik, die Soldaten an immer mehr Fronten dieser Welt schickt. Systematisch ergreift die Bundesregierung jede sich bietenden Gelegenheiten, um international militärisch mitzumischen. Das Ganze hat nach jener Logik nur einen Nachteil: Es ist teuer. Denn so steigt der Wehrhaushalt im kommenden Jahr erneut an, und zwar um satte 4,4 Prozent.
Der Kampf gegen die Militarisierung der Außenpolitik ist auch ein Kampf um die Verteilung des Reichtums. In den Auslandseinsätzen der Bundeswehr werden Milliarden verbrannt, die über die Spardiktate im Rahmen des Fiskalpaktes aus dem sozialen Bereich (also auf gut deutsch bei jedem Einzelnen von uns) wieder hereingeholt werden sollen.
Mit diesen Entwicklungen haben wir aber auch als Nebenprodukt dem Totalitarismus das Tor geöffnet und jene Bausteine angelegt, die sich tendenziös in einer weltumspannenden Dimension entfalten könnten.
Ich hoffe, wir sehen uns wieder, bei der nächsten Sendung.
Quellen:
AG Friedensforschung
Tageszeitung Junge Welt
Spiegel Online