Sendung 669 vom 05.02.2024
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Die Zahl politisch motivierter Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte ist in Deutschland im vergangenen Jahr um beinahe ein Drittel auf 218 gestiegen. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Gruppe Die Linke im Bundestag hervor. Dabei reicht die Spannbreite vom Bemalen von Unterkünften mit rassistischen, teilweise auch mit NS-Parolen über das Beschmieren mit Schweineblut und das Placieren von Schweineköpfen – Schweine gelten im Islam, dem viele Flüchtlinge etwa aus Syrien oder Afghanistan angehören, als unrein – bis hin zu Brandstiftung; so wurde Ende Juni im bayrischen Krumbach eine Unterkunft für Asylbewerber in Brand gesteckt. Auch die Anzahl der politisch motivierten Angriffe auf Flüchtlinge außerhalb ihrer Unterkünfte verharrt auf einem hohen Niveau. Zwar ging sie nach vorläufiger Statistik von 2.450 Straftaten im Jahr 2023 auf 1.905 im Jahr 2024 zurück. Allerdings wird mit einem Anstieg dieser Zahl gerechnet, da Nachmeldungen erwartet werden. Durch Nachmeldungen hatte sich etwa die ursprüngliche Zahl der im dritten Quartal 2024 verzeichneten Angriffe auf Flüchtlinge außerhalb ihrer Unterkünfte verdreifacht.
Die Zunahme rassistischer Gewalt spiegelt sich auch in einem raschen Anstieg der Straftaten wider, die aus einer extrem rechten Motivation heraus begangen werden. Lag deren Zahl bereits im Jahr 2022 laut Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) mit 23.493 deutlich über dem Vorjahreswert (21.964), so stieg sie im Jahr 2023 weiter auf insgesamt 28.945 an. 2024 übertrafen bereits die bis zum 30. November begangenen Straftaten mit extrem rechtem Hintergrund diesen Wert erneut und erreichten eine Gesamtzahl von 33.963. Diese wird nicht nur durch die im Dezember begangenen Straftaten, sondern auch durch die Nachmeldungen noch weiter steigen. Demnach werden in Deutschland mittlerweile rund 3.000 extrem rechte Straftaten pro Monat begangen – rund 100 pro Tag. Bei mehr als drei am Tag handelt es sich um Gewaltdelikte, deren Gesamtzahl von Januar bis November 2024 auf 1.136 stieg. Hinzu kamen 1.942 Fälle von Sachbeschädigung sowie 5.097 Fälle von Volksverhetzung. Den größten Anteil stellten mit 21.311 Fällen Propagandadelikte, darunter beispielsweise das Verbreiten von Symbolen verfassungswidriger Organisationen oder auch allgemein das Verbreiten von NS-Propaganda.
Ein Anschwellen rassistischer sowie extrem rechter Gewalt ist in den vergangenen Wochen etwa nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt zu beobachten gewesen, bei dem ein antimuslimischer Anhänger der AfD sechs Menschen umbrachte und viele weitere teilweise schwer verletzte. Die Tatsache, daß der Täter aus Saudi-Arabien stammte, genügte, um in Magdeburg eine Welle rassistischer Gewalt auszulösen. Noch am Abend der Tat wurden Personen mit Migrationshintergrund in der Stadt aggressiv rassistisch beleidigt und teils auch geschlagen. Dies wiederholte sich in den folgenden Tagen und Wochen immer wieder. Von Drohbriefen, die in Briefkästen von Einwohnern mit Migrationshintergrund eingeworfen wurden, wurde genauso berichtet wie von Hakenkreuzschmierereien an der Wand eines Gebäudes, in dem eine aus Syrien geflohene Familie wohnt. Ein 28-Jähriger aus Marokko wurde an einer Magdeburger Straßenbahnhaltestelle rassistisch beleidigt und verprügelt. Laut dem Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt stieg die Zahl der Angriffe innerhalb nur eines Monats allein in Magdeburg auf mehr als 30 – ein Angriff pro Tag. Die Furcht vor rassistischer Gewalt treibt inzwischen erste Migranten dazu, ihren Umzug aus Magdeburg zu planen.
Auf anhaltend hohem Niveau bewegen sich in der Bundesrepublik auch der antimuslimische Rassismus und Straftaten, die sich gezielt gegen Muslime oder gegen islamische Institutionen richten. Vollständige Jahresstatistiken für 2024 liegen noch nicht vor. Allerdings lag die Zahl antimuslimischer Straftaten – darunter Beleidigung und Körperverletzung, Sachbeschädigung und Volksverhetzung – bereits nach dem dritten Quartal 2024 bei 898, wobei Nachmeldungen auch hier noch nicht mitgerechnet waren. Im Jahr 2023 hatte die Zahl antimuslimischer Straftaten den bisherigen Rekordwert von 1.464 erreicht. Davon waren 1.211 bzw. 83 Prozent politisch rechts motiviert. Dabei werden antimuslimische Straftaten nur in zwölf Prozent der Fälle den Behörden gemeldet. Ende vergangener Woche berichtete der Koordinationsrat der Muslime, im Verlauf der vergangenen Wochen hätten „zahlreiche Moscheen in Deutschland Bombendrohungen, Haßbotschaften und Sachbeschädigungen“ hinnehmen müssen, darunter Bombendrohungen, in denen es hieß: „Dönermord wird Volkssport! Gaskammern für das degenerierte Palästinenservolk!“ Wie der Koordinationsrat der Muslime festhielt, sehe er „die jüngsten migrationspolitischen Initiativen im Bundestag mit großer Besorgnis“; sie drohten „zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft“ zu führen.
Bei den „jüngsten migrationspolitischen Initiativen“ handelt es sich insbesondere um den Fünf-Punkte-Plan von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, dem der Deutsche Bundestag am Mittwoch mit einer Mehrheit von 348 zu 345 zugestimmt hat. Der Plan schreibt „ein faktisches Einreiseverbot“ für Menschen ohne gültige Einreisedokumente vor – unter ihnen Asylsuchende. Zudem verlangt er, daß alle Flüchtlinge, die „vollziehbar ausreisepflichtig“ sind, interniert werden, etwa in „leerstehende[n] Kasernen und Containerbauten“. Laut Amnesty International (AI) wären davon rund eine Viertelmillion Menschen betroffen, darunter Kinder. Von täglichen Abschiebeflügen ist die Rede, darunter Flüge etwa nach Syrien und nach Afghanistan. Es handelt sich dabei um Forderungen, die noch vor wenigen Jahren lediglich im Repertoire extrem rechter Organisationen zu finden waren, etwa der NPD, aber auch der AfD, die dafür das Schlagwort „Remigration“ nutzt. Der Merz’sche Antrag ist der erste in der Geschichte des Bundestages, der seine Mehrheit der Zustimmung einer extrem rechten Partei verdankt. Damit ist im Parlament ein Damm gebrochen. Die Folgen zeigen sich unter anderem darin, daß die AfD, durch den Vorgang aufgewertet, in Umfragen neue Höchstwerte verzeichnen kann. Lag sie Anfang Januar noch bei 18 Prozent, so erreicht sie seit dem 29. Januar, dem Tag der Abstimmung über den erwähnten Antrag im Bundestag, Werte zwischen 20 und 23 Prozent. Die extreme Rechte befindet sich damit in einem beispiellosen Aufschwung – mehr denn je in der Geschichte der Bundesrepublik.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.