Sendung 577 vom 24.03.2022
Willkommen liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
In der heutigen Sendung beschäftigen wir uns mit Themen, deren Behandlung eine Erklärung unseres Verständnisses vom Begriff „Rassismus“ voraus setzt.
Rassismus ist eine Ideologie, nach der Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale oder negativer Fremdzuschreibungen, die übertrieben, naturalisiert oder stereotypisiert werden, als „Rasse“, „Volk“ oder „Ethnie“ kategorisiert und somit ausgegrenzt werden. Rassisten betrachten dementsprechend Menschen, die ihren eigenen Merkmalen möglichst ähnlich sind, meist als höherwertig, während alle anderen (oftmals abgestuft) als geringerwertig angesehen werden.
Seit der Ächtung von Rassismus durch die UN, nach dem Zweiten Weltkrieg, tritt vermehrt sogenannter Kulturrassismus auf, den Theodor Adorno folgendermaßen beschrieb: „Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch.“ Er tritt beispielsweise auf, um Grenzpolitik zu rechtfertigen oder Flüchtlinge zu diskriminieren, den Zugang zu Ressourcen, Orten und Positionen (z. B. politische Posten oder auch Positionen in Betrieben) zu erschweren und dient zur Legitimation von Machtausübung, Verletzung der allgemeinen Menschenrechte, Gewalt oder Diskriminierung und kann auch unsere werte- und regelbasierte Ordnung heißen! Struktureller Rassismus ist daher ein systematischer und System bedingter immanenter Bestandteil eines jeden auf Ausbeutung und Unterdrückung basiertes Gebildes und Systems. Soweit unser kleiner Ausflug in die Begriffsklärung.
Nun zurück zum eigentlichen Thema. Am Mittwoch vergangener Woche ist bei der, von den Vereinten Nationen gemeinsam mit der Schweiz und Schweden in Genf abgehaltenen, Geberkonferenz für den Jemen nur ein Drittel der benötigten 3,9 Milliarden Euro zusammengekommen. Das ist weniger denn je, obwohl sich die humanitäre Lage im Land von Jahr zu Jahr immer weiter verschlimmert hat. Somit ist es ist noch schlimmer gekommen, als es ohnehin erwartet worden war.
Obwohl die Bundesregierung den Hilfsorganisationen, in den vergangenen zwei Jahren noch jeweils weitere 200 Millionen Euro an Hilfen zugesagt hatte! Und obzwar der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Tobias Lindner, erklärte, „es bricht einem das Herz, wenn man die Bilder sieht – vor allem von Kindern und Babys, die am Rande des Verhungerns stehen“, und deshalb zu einer deutlichen Erhöhung ihrer Beiträge aufgefordert hatte, gab es für solch eine herzzerreißende Hungernot dieses Mal nur 110 Millionen. Das stellt fast eine Halbierung dar. Die größten Einzelsummen wurden neben Deutschland von den USA und der EU zugesagt.
Seit 2014/15 leiden die Menschen im Jemen unter einem Bürgerkrieg, der gelenkt durch multinationale Beteiligung, inzwischen laut Angaben der Vereinten Nationen zur größten humanitären Katastrophe unserer Zeit geführt hat. Die Lage im Jemen ist sehr komplex, da drei verschiedene Gruppen darin involviert sind. [Bild] Das Volk Jemens leidet und blutet seit Jahren unter einem von Saudi-Arabien angeführten barbarischen Krieg, mit Beteiligung einer Militärallianz von Golfstaaten und logistischer Unterstützung USA, Frankreich und Großbritannien.
Der größte Verlierer in diesem, durch die USA mit angeheiztem, Konflikt ist wie immer die Zivilbevölkerung. Die Vereinten Nationen sprechen mit Blick auf den Jemen von einer der schlimmsten humanitären Krisen der Welt. Vier von fünf Jemeniten sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon elf Millionen Kinder. Fünf Millionen Menschen stünden am Rande einer Hungersnot. Seit 2014 seien (nach UN Angaben) mehr als 200.000 Menschen getötet worden, davon über 100.000 durch indirekte Kriegsursachen wie Hunger und Krankheiten. Mehr als 20 Millionen Menschen haben keinen sicheren Zugang zu Nahrung. 14,4 Millionen Menschen benötigen sofortige Unterstützung, um ihr Überleben zu garantieren und knapp 311.000 Kinder leiden an schwerer akuter Unterernährung. Etwa 14,5 Millionen Menschen benötigen schon jetzt Hilfe im Bereich Wasser, Sanitär-Einrichtungen und Hygiene sowie 14,8 Millionen in der Gesundheitsversorgung.
Doch trotz der humanitären Krise gilt der Jemen-Konflikt weithin als “vergessener Krieg”. Die Zahlen über das menschliche Leid in dem Land bleiben meist nur Zahlen, ohne deren Geschichten. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Das Land ist aus geographischen und politischen Gründen abgeschottet [Bild geographische Lage]. Es gibt kaum Flüchtlinge, die es bis nach Europa oder überhaupt aus dem Land heraus schaffen und so ist es für Deutschland und Europa leicht, die Augen sowie alles Andere vor dem Leid im bitterarmen Jemen zu verschließen.
Im Februar meldete die UNO, angesichts der wieder aufflammenden Kämpfe, einen neuen Höchststand bei den zivilen Opfern!
Nur wenige Wochen nach seiner Vereidigung als US-Präsident hat Joseph Biden erklärt, seine Regierung werde „jede US-Unterstützung für Angriffshandlungen im Jemen-Krieg einstellen, inklusive der relevanten Rüstungsexporte“. Inzwischen bezweifelt kaum jemand, daß Bidens Ankündigung, die er schon im Februar 2021 mit dem weit auslegbaren Zusatz verknüpft hatte, Washington sichere Riad und anderen Verbündeten trotzdem Unterstützung bei der „Verteidigung (ihrer) Souveränität und (ihres) Territoriums gegen regionale Bedrohungen“ zu, eine Farce war. Im Dezember scheiterte im US-Kongreß der Versuch, den Verkauf hochmoderner Luft-Luft-Raketen im Wert von 650 Millionen US-Dollar an Saudi-Arabien zu verhindern. Ein Sprecher des Außenministeriums behauptete damals, es handle sich um defensive Waffen, die einzig zur Verteidigung geeignet seien.
Bei den Kämpfen im Jemen sind nach UN-Angaben allein im Januar und Februar dieses Jahres 47 Kinder getötet oder verstümmelt worden. In den vergangenen sieben Jahren seien in dem Land nach Erkenntnissen der UNO mehr als 10.000 Kinder getötet oder verletzt worden, teilte das UN-Kinderhilfswerk UNICEF vor wenigen Tagen mit.
Aus alldem ergeben sich eine ganze Reihe von Fragen:
Im Falle des Krieges in der Ukraine kam es zu massiven Sanktionen gegen Rußland. Warum kommt es im Fall Jemen nicht zu ebenso harten Sanktionen gegen die Schuldigen, kriegführenden Parteien, einschließlich Frankreich, Großbritannien und den USA? Gerade gegen die USA, die durch ihre beinahe nicht mehr zu zählenden Kriege so viel Leid über die Weltbevölkerung gebracht haben wie kein Land sonst auf der Erde nach Nazideutschland.
Im Fall der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine hat sich gezeigt, was der Westen inklusive Deutschland zu Leisten in der Lage ist, um Menschen zu helfen, die Hilfe benötigen. Wieso wird dies im Falle Jemen nicht getan? Wieso ist es möglich, daß im Fall Ukraine, 3000 Tonnen Lebensmittelgroßspenden dorthin transportiert werden, in anderen Fällen wie dem im Jemen oder vielen anderen jedoch nicht und die Menschen dort sterben, indem sie qualvoll verhungern?
Flüchtlinge aus der Ukraine werden momentan unbürokratisch aufgenommen, und zwar EU-weit. Wieso spricht man dann von einer Flüchtlingskriese, wenn es um die Ereignisse von 2015 geht? Wieso läßt Europa Menschen zu hunderttausenden im Mittelmeer ertrinken? Wieso schottet man sich – mit militärischen Mitteln – an den EU-Außengrenzen gegen jedwede Flüchtlinge ab, die aus dem nahen oder mittleren Osten oder vom afrikanischen Kontinent kommen? Und zwar auch aus Kriegsgebieten, meist s sogar aus welchen, die der Westen, die USA und die Nato mit anheizen oder gar Krieg und Elend verursacht haben? Wieso fehlt gegenüber diesen Menschen jede Solidarität?
Und zuletzt: Wieso sind die Länder an den Osteuropäischen Außengrenzen (wie Polen, Ungarn etc.), die sich ansonsten mit „Händen und Füßen“ gegen jeden wehren, der auch nur im Entferntesten einem Flüchtling ähnelt, plötzlich so hilfsbereit? Woher kommt der Sinneswandel?
Warum wir am Anfang kurz den Rassismus-Begriff näher beleuchtet haben, sollte nun keine Frage mehr aufwerfen. Denn auch eine regelbasierte Wertegemeinschaft kann Rassismus pflegen.
Das ist nur ein Bruchstück dessen, was sich allmählich zur Selbstverständlichkeit unseres Weltbildes entwickelt und manifestiert und unser Selbstbild des „solidarischen Volkes“ immer offensichtlicher in Frage stellt.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.